Zurzeit laufen die innenpolitischen Ereignisse
in der Ukraine den Beobachtern fast davon. Wer nicht wenigstens Russisch im
Grunde kennt, muss höllisch aufpassen, dass er bzw. sie nicht informatorisch
überrollt wird.
Das ist unter anderem Ergebnis des „Kampfes um die
informatorische Vorherrschaft“, welcher seit einiger Zeit von ukrainischer
Seite intensiver geführt wird. Allerdings auch mit Haken und Ösen. Ein Beispiel:
vorgestern wurden im Fernsehen unter Berufung auf Quellen der UNO und OSZE bekannt
gegeben, dass seit Beginn der Kämpfe im und um den Donbass rund 6800 Menschen
getötet und weit über 17.000 Personen verwundet wurden.
Meine ständigen Leser
werden sich gewiß daran erinnern, dass ich unter http://mein-ostblock.blogspot.com/2015/07/sind-soldaten-morder.html
schrieb, dass die militärischen Todesopfer seit Beginn des unerklärten Krieges mit
2300 Soldaten aller Ränge beziffert wurden. Diese recht glaubwürdigen Angaben
stammen aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium.
In einer Sendung zum
politischen Alltag bemerkte denn auch ein ukrainischer Journalist, dass er die
Angaben von UNO und OSZE zwar verwenden werde, weil ihm andere nicht bekannt
seien. Allerdings meine er, dass die ukrainischen Bürger, welche unter anderem
auch die große Anzahl an Volontären stelle (ebenfalls unter den Opfern) ein
Recht darauf habe, aus ukrainischen Quellen informiert zu werden. Seine etwas provokative
Frage: Oder gibt es bei uns kein Monitoring der Menschenverluste?
Sie werden
verzeihen, dass ich hier Fakten und Erscheinungen etwas abseits von den
Schlagzeilen kommentiere, die mir dazu geeignet scheinen, die innenpolitische
Situation auch in anderen Facetten zu zeigen.
Ein weiteres Beispiel dafür: der
Chef der Radikalen-Partei Ljaschko hat vorgestern vor der
Generalstaatsanwaltschaft mit einigen seiner Anhänger ein wenig randaliert. Verlangte
einerseits eine Begegnung mit dem Generalstaatsanwalt, andererseits unter
Verwendung einer Reihe sehr grober – also radikaler – Formulierungen dessen
sofortigen Rücktritt. Nun weiß der ausgebildete Jurist Ljaschko natürlich, dass
diese Art des Protestes ihm wieder einige Anhänger zuführt (was er bei seinem fallenden Rating nötig hat), andererseits weder
juristische noch andere unangenehme Folgen für ihn haben wird. Die Aktion geht in
der gegenwärtigen „Reformwelle“ mit den deutlich eingelegten „Antikorruptions-Beilagen“
einfach unter.
Besonders eindrucksvoll erscheint in diesem Zusammenhang die
Fernsehsendung „Lustrator 7,62“ mit ihrem Symbol – dem einsehbaren gefüllten Magazin
einer Kalaschnikow-MPi (Patronen vom Kaliber 7,62 mm) und einem Teil der Schusswaffe
im Hintergrund. In ihr werden recht eigenwillig ständig Tatsachen zu besonderen
Bestechungsfällen und anderen Unrechtshandlungen von Personen aus dem einstigen
und teilweise noch existierenden Machtapparat gezeigt und kommentiert.
Eine
weitere Facette: die Informationen des Rechtsanwalts von Nadija Sawtschenko zu ihrem
Schicksal. Mich beeindruckte die Aussage, dass in der Zeit ihrer Überführung aus Moskau in
ein Gefängnis der Stadt Rostow am Don sie für die Verteidigung „informatorisch nicht
existent“ gewesen sei.
Seine Formulierung in etwa: „Nach der in Russland heute
noch geltenden sowjetischen Festlegung wird zu Strafgefangenen „auf Etappe“
grundsätzlich keine Auskunft erteilt.“
An anderer Stelle räumte er ein, dass auch
der ukrainische Strafvollzug reformbedürftig sei. Die sowjetische Vergangenheit
ist also in beiden Staaten noch nicht bewältigt. Ein Vierteljahrhundert nach
Ende des Kalten Krieges!
Nun noch etwas ebenfalls aktuelles, jedoch mit für die
Menschen hier typischer humoriger Note. Gefunden am 29.07.2015 um 09.41 Uhr im Internet,
„Ukrainisches politisches Forum“.
Es wurde gesagt, dass alles so war.
Vor
einigen Tagen in Ushgorod…
Selbst wenn erfunden, dann immer noch schön…
Wer seid ihr, Söhnchen…
Im Hof
schrammte ein „Merc“ (Mercedes – d. Ü.) die Tür eines „Slavuta“ (Saporoshets-Version).
Aus dem „Slavuta“ krabbelte ein alter Herr heraus und schrie… Aus dem „Merc“
stieg ein Bursche, schlug dem Alten ins Gesicht:
„Mein Familienname ist Helzer.
Mein Vater ist Richter.“
Der Opa zwängte sich in den „Slavuta“ mit den hörbaren
Worten: „Im Krieg habe ich Panzer gerammt – und hier wird mich irgend so ein
Deutscher ohrfeigen.“ Holte Schwung und rammte den „Merc“.
Helzer sprang mit
wüsten Flüchen aus dem Auto und, einen Baseballschläger schwingend, auf den
„Slavuta“ zu.
Von der Bank im Hof erhoben sich drei junge Männer. Einer von
ihnen lief sehr rasch auf das ausgeflippte „Richtersöhnchen“ zu und schickte
das mit einem kurzen Kinnhaken zu Boden.
„Wer seid ihr, Söhnchen?“
interessierte sich der Greis.
„Partisanen, Väterchen, Partisanen.“
Die
Beobachter auf den Balkonen des Hochhauses applaudierten stehend.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger